© 1999
François Bry
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Mit der Aussagenlogik werden hauptsächlich logische Verknüpfungen wie ,,nicht``, ,,und``, ,,oder`` untersucht. Zur syntaktischen Repräsentation dieser Verknüpfungen von Aussagen dienen sogenannte Junktoren: ¬ für die einstellige Verknüpfung ,,nicht``, ∧ für die zweistellige Verknüpfung ,,und``, ∨ für ,,oder``, ⇒ für ,,wenn dann``, ⇔ für ,,genau dann wenn``.
Die einfachsten Aussagen, die damit verknüpft werden können, sind die konstant wahre Aussage, repräsentiert durch T (gesprochen ,,top`` oder auch ,,verum``) und die konstant falsche Aussage, repräsentiert durch ⊥ (gesprochen ,,bottom`` oder auch ,,falsum``). Man nennt T und ⊥ die nullstelligen Junktoren.
Welche weiteren Aussagen in der formalen Sprache repräsentiert werden müssen, hängt von der Anwendung ab, für die die Sprache verwendet wird. Es gibt deshalb nicht ,,die`` Sprache der Aussagenlogik, sondern verschiedene Sprachen der Aussagenlogik, die sich in ihrem anwendungsspezifischen Teil unterscheiden. Den anwendungsspezifischen Teil einer Sprache einer Logik nennt man üblicherweise die Signatur der Sprache.
Die Signatur einer Sprache der Aussagenlogik definiert sogenannte ,,Aussagenvariablen``. Jede Aussagenvariable dient zur syntaktischen Repräsentation irgend einer Aussage, die wahr oder falsch sein kann, wie etwa ,,es regnet`` oder ,,Franz ist krank``. Die durch Aussagenvariablen repräsentierten Aussagen werden als elementar betrachtet, das heißt, dass die Aussagenlogik keine sprachlichen Mittel zur Darstellung der inneren Struktur solcher Aussagen bietet. Beispielsweise ist einer aussagenlogischen Repräsentation nicht zu entnehmen, dass die Aussage ,,Franz ist krank`` mit der Aussage ,,Hans ist krank`` mehr gemeinsam hat als mit der Aussage ,,es regnet``.
Die alternative Bezeichnung ,,nullstellige Relationssymbole`` für Aussagenvariablen hat ihren Grund darin, dass sie ein Spezialfall der Relationssymbole der Prädikatenlogik erster Stufe sind und zu einer völlig anderen syntaktischen Kategorie gehören als die ,,Variablen`` der Prädikatenlogik erster Stufe (siehe Abschnitt 2.3).
In Kapitel 3 werden wir sehen, dass auch andere Junktoren möglich sind als die in Definition 2.1.1 genannten. Das ist der Grund, warum manche Autoren mehr oder weniger Junktoren einführen. Die Schreibweise der Junktoren variiert auch ein wenig von Autor zu Autor: zum Beispiel wird der Implikationsjunktor statt ⇒ manchmal ⊃ geschrieben.
Als Aussagenvariablen dienen häufig Großbuchstaben mit oder ohne Indizes. In manchen Anwendungen benutzt man für die Aussagenvariablen auch Bezeichner wie in Programmiersprachen. Wir werden in Beispielen meistens Kleinbuchstaben wie p, q, r als Aussagenvariablen verwenden.
Informell und ungenau, weil dabei die Klammerung implizit bleibt, kann die Definition auch so formuliert werden: Sind F1, ..., F1 (für n=0, 1, 2) -Formeln, so sind es auch ihre Verknüpfungen mit n-stelligen Junktoren.
Zum Beispiel ist (p ∨ ¬(q ∧ r)) eine -Formel für jede Sprache der Aussagenlogik, deren Signatur die Symbole p, q und r als Aussagenvariablen definiert. ¬(T ⇒ ⊥) ist eine -Formel jeder Sprache der Aussagenlogik.
Bemerkungen:Existiert die ,,kleinste Menge``, von der in Definition 2.1.2 die Rede ist? Aus den folgenden Gründen lautet die Antwort ,,ja``.
Zum einen gibt es überhaupt eine Menge, die die Bedingungen 1 bis 3 der Definition 2.1.2 erfüllt, nämlich die Menge aller Wörter, die aus den Symbolen unserer Sprache , also T, ⊥, Aussagenvariablen, Junktoren und Klammern, gebildet werden können (siehe Vorlesung Informatik IV).
Zum anderen erfüllt der Durchschnitt jeder Menge von Mengen, die die Bedingungen 1 bis 3 von Definition 2.1.2 erfüllen, ebenfalls diese Bedingungen. Der Durchschnitt der Menge aller Mengen, die die Bedingungen 1 bis 3 erfüllen, ist also die kleinste Menge, von der Definition 2.1.2 spricht. Jede Menge, die die Bedingungen 1 bis 3 erfüllt, enthält unter anderem das Element T, deshalb ist die kleinste Menge nicht leer.
,,die Menge der X ist die kleinste Menge, die die folgenden Bedingungen erfüllt: ...``.Statt dieses Schemas wird oft auch wie folgt formuliert:
,,X werden induktiv definiert durch folgende Bedingungen:...``wobei manche (vorsichtigen) Autoren am Ende noch hinzufügen:
,,nichts anderes ist ein(e) X``.Beide Ausdrucksweisen bedeuten das Gleiche. Genauer gesagt: die erste Ausdrucksweise, die auch in Definition 2.1.2 gewählt wurde, ist die Definition der zweiten. Eine Definition der Formeln durch eine kontextfreie Grammatik ist eine ähnliche Definition, da die Menge aller von der Grammatik erzeugten Wörter induktiv definiert ist.
Wir überzeugen uns nun, dass tatsächlich ,,nichts anderes`` eine -Formel sein kann als das, was in den drei Fällen der induktiven Definition vorkommt.
Mit diesem Ergebnis ist aber noch nicht ausgeschlossen, dass eine -Formel mehrere dieser Gestalten haben könnte, zum Beispiel durch verschiedene Klammerungen bei verschachtelten zweistelligen Junktoren. Um die Eindeutigkeit der Gestalt von Formeln nachweisen zu können, müssen wir erst eine spezielle Beweistechnik einführen, das sogenannte Prinzip der strukturellen Induktion, das eng mit induktiven Definitionen verwandt ist.
Im Fall 2(b) ist das Wort ,,zwei`` so gemeint, dass F1 und F1 nicht notwendigerweise verschieden sind. Dies ist ein typisches Beispiel für die Art von Mehrdeutigkeiten, die formale Sprachen vermeiden sollen.
Die Argumentation im obigen Beweis beruht, wie im Beweis des Satzes zuvor, wesentlich auf der in der induktiven Definition geforderten Minimalität der Menge. Bevor wir das neue Beweisprinzip seinerseits verwenden, (u.a. zum Beweis des Eindeutigkeitssatzes), gehen wir noch kurz auf eine Verallgemeinerung ein.
Zur Veranschaulichung sei S die Menge der natürlichen Zahlen und T die Menge der geraden Zahlen. Die Relation R sei die Menge aller Tripel (x1,x2, y) von natürlichen Zahlen, für die x1+ x2=y ist. Dann ist T abgeschlossen bezüglich {R}, weil die Summe von zwei geraden Zahlen nicht nur eine beliebige natürliche Zahl, sondern eine gerade Zahl ist. Dagegen ist die Menge der ungeraden Zahlen nicht abgeschlossen bezüglich {R}.
B0:= B
Bi+1:= Bi ∪ ∪R ∈
Rel {yI x1∈
Bi,...xn-1∈ Bi,
(x1,...xn-1,y)∈ R}
Dann gilt:T = ∪i ∈ ΝBi.
Das verallgemeinerte Beweisprinzip der strukturellen Induktion wird also auf das herkömmliche Beweisprinzip der vollständigen Induktion über die natürlichen Zahlen zurückgeführt, das vorausgesetzt wird. Die herkömmliche vollständige Induktion ist Teil der Axiomatisierung der natürlichen Zahlen - siehe Abschnitt 3.10.
Auf die aussagenlogischen Formeln wird dieses verallgemeinerte Prinzip anwendbar für den Sonderfall S = Menge der -Formeln, B = Menge der atomaren -Formeln sowie und , Rel = {R¬, R∧, R∨, R⇒, R⇔}, wobei R¬ = {(F, ¬F)I F ∈ } und R∧ = {(F, G, (F ∧ G))I F ∈ und G ∈} usw. und T = Menge der -Formeln mit Eigenschaft ε.
Doch nun zu der Frage, ob die Gestalt von aussagenlogischen Formeln eindeutig bestimmt ist.
Dieser Nachweis ist nicht schwierig, aber etwas mühsam. Wir verwenden folgende Hilfsmittel: für ein Wort H, also eine Sequenz von Symbolen, seien l(H) bzw. r(H) die Anzahl der in H vorkommenden linken (öffnenden) Klammern bzw. rechten (schließenden) Klammern. Unter einem Präfix einer Formel verstehen wir ein nichtleeres Wort, mit dem die Formel beginnt. Ein echter Präfix einer Formel ist ein Präfix, der nicht gleich der Formel ist.
Durch strukturelle Induktion.
Basisfälle: T, ⊥ und atomare
-Formeln enthalten weder linke
noch rechte Klammern, also gleich viele.
Induktionsfall Negation: Es gelte l(F) = r(F). Wegen
l(¬ F) = l(F) und r(¬ F) =
r(F) gilt dann auch l(¬ F) = r(¬
F).
Induktionsfall zweistelliger Junktor θ: Es gelte l(F)
= r(F) sowie l(G) = r(G). Wegen
l(F θ G) = 1 + l(F) +
l(G) und r(F θ G) = 1 +
r(F) + r(G) gilt dann auch l(F θ
G) = r(F θ G).
Durch strukturelle Induktion.
Basisfälle: Das gilt offensichtlich für T, ⊥ und
atomare -Formeln.
Induktionsfall Negation: F enthalte ein vom Negationssymbol
verschiedenes Symbol. Dann enthält auch ¬ F
dieses Symbol.
Induktionsfall zweistelliger Junktor θ: unabhängig von
F und G enthält (F θ G) das vom
Negationssymbol verschiedene Symbol (.
Durch strukturelle Induktion.
Basisfälle: Die Behauptung gilt
für T, ⊥ und atomare -Formeln , da diese gar keinen
echten Präfix haben.
Induktionsfall Negation: Für F gelte, dass jeder
echte Präfix Q eine Sequenz von Negationssymbolen ist
oderl(Q) > r(Q) ist. Sei P ein echter
Präfix von ¬ F. Ist P = ¬, so
ist P eine Sequenz von Negationssymbolen und die Behauptung gilt. Ist
P = ¬ Q für einen echten Präfix Q von
F, so ist entweder P eine Sequenz von Negationssymbolen
oder l(P) = l(Q) > r(Q) =
r(P) und die Behauptung gilt für ¬ F.
Induktionsfall zweistelliger Junktor θ:
Für F und G gelte, dass jeder echte Präfix Q
eine Sequenz von Negationssymbolen ist oder l(Q) >
r(Q) ist.
In jedem der beiden Fälle gilt also l(Q) ≥
r(Q).
Sei P ein echter Präfix von (F θ G).
Ist P = (, so gilt l(P) > r(P).
Ist P= (Q mit Q echter Präfix von F, so gilt
l(P) = 1 + l(Q) ≥ 1 + r(Q) >
r(Q) = r(P).
Ist P = (F oder P = (F θ, so ist
l(P) = 1 + l(F) = 1 + r(F) >
r(F) = r(P).
Ist P = (F θ
Q mit Q echter Präfix G, so ist l(P) = 1
+ l(F) + l(Q = 1 + r(F) +
l(Q) ≥ 1 + r(F) + r(Q) >
r(F) + r(Q) = r(P). Stets gilt also
l(P) > r(P) und damit die Behauptung für
(F θ G).
Dies ergibt sich unmittelbar aus (c), (b) und (a).
Sonst wäre G1 ein echter Präfix von G2 oder G2 ein echter Präfix von G1, im Widerspruch zu (d).
Der Satz 2.1.7 besagt, dass die in der Definition 2.1.2 implizite Grammatik eindeutig ist. Diese Eindeutigkeit berechtigt dazu, aussagenlogische Formeln in der vertrauten Weise durch Bäume darzustellen, wie z.B. die Formel (p ∨ ¬ (q ∧ r)) durch den Baum:
Die Eindeutigkeit wird wesentlich durch die Klammerung von Formeln der Gestalt (F θ G) erreicht. Ohne diese Klammern wäre zum Beispiel die syntaktische Struktur der Symbolfolge p ∧ q ∨ r nicht eindeutig.
Warum will man die Syntax so definieren, dass der Eindeutigkeitssatz gilt? Wenn die Syntax mehrdeutig ist, gilt dies auch für die Semantik. Ohne eindeutige Syntax hätte man also auch keine eindeutige Bedeutung. Mehrdeutigkeiten können Missverständnisse verursachen. Der Zweck einer formalen Sprache besteht aber gerade darin, Missverständnisse auszuschließen. Mehrdeutigkeiten erschweren überdies die Automatisierung oder machen sie sogar ganz unmöglich.
Für die natürliche Sprache gilt kein Eindeutigkeitssatz. Der englische Satz ,,Male guides fish.`` hat zum Beispiel zwei völlig verschiedene syntaktische Strukturen, bei denen die Wörter unterschiedlichen Wortarten zugeordnet werden: zum einen die Struktur Subjekt-Verb-Objekt mit dem Verb ,,to guide`` und der Bedeutung ,,Männchen führt Fisch(e)``, zum anderen die Struktur Subjekt-Verb mit dem Verb ,,to fish`` und der Bedeutung ,,Männliche Führer fischen``. Im Deutschen sind solche Beispiele wegen der Flexionsendungen und der Groß-/Kleinschreibung seltener, aber es gibt sie, zum Beispiel die Frage: ,,Fliegen sieben Bienen ?`
Meistens bevorzugt man in solchen Beispielen zwar jeweils eine der Lesarten, aber nicht aus syntaktischen Gründen, sondern aus semantischen.
Die Menge der Teilformeln einer -Formel F ist die kleinste Menge, die F enthält sowie alle unmittelbaren Teilformeln aller ihrer Elemente.
Informell (weil unpräzis) können die Teilformeln einer Formel F als die Teilwörter von F definiert werden, die -Formeln sind.
Wenn eine Objektsprache z.B. Integrale oder Halbgruppen oder Wahrscheinlichkeitsverteilungen beschreibt, kommen Junktoren und Quantoren nur in der Metasprache vor, und man benutzt dann üblicherweise die Symbole auf der Ebene der Metasprache. In diesen Fällen kann kein Konflikt mit den Symbolen der Objektsprache entstehen. Die Logik ist das einzige wissenschaftliche Gebiet, in dem die Symbole für Junktoren und Quantoren in der Objektsprache vorkommen und deshalb nicht mehr für die Metasprache zur Verfügung stehen, also das einzige Gebiet, in dem das Problem eines Konflikts zwischen den Symbolen überhaupt auftritt.