Weißbuch über Perspektiven in der in der LMU zum Anbruch des Informationszeitalters

Weißbuch über Perspektiven in der Ludwig-Maximilians-Universität zum Anbruch des Informationszeitalters

23.7.1998

François Bry, Peter Clote, Heinz-Gerd Hegering, Hans-Peter Kriegel, Fred Kröger, Thomas Ludwig und Martin Wirsing
(Professoren am Institut für Informatik)


Dieser Bericht ist unter http://www.informatik.uni-muenchen.de elektronisch verfügbar. Nachdrucke sind unter folgender Adresse erhältlich:
Institut für Informatik
Sekretariat von Prof. Dr. François Bry
Oettingenstraße 67
80538 München
Tel.: 089 - 2178 2210 Fax: 089 - 2178 2211
Kommentare können an weissbuch-autoren@informatik.uni-muenchen.de oder an die obige Adresse übersandt werden.



Da aber auch das geistige Wirken in der Menschheit nur als Zusammenwirken gedeiht, und zwar nicht bloß damit einer ersetze, was dem anderen mangelt, sondern damit die gelingende Tätigkeit des einen den anderen begeistere und allen die allgemeine, ursprüngliche, in den einzelnen nur einzeln oder abgeleitet hervorstrahlende Kraft sichtbar werde, so muß die innere Organisation dieser Anstalten ein ununterbrochenes, sich immer selbst wieder belebendes, aber ungezwungenes und absichtloses Zusammenwirken hervorbringen und unterhalten.

Wilhelm von Humboldt
Antrag vom 24.7.1809 auf Errichtung der Universität Berlin an den König von Preußen

Zusammenfassung

Die Themen des sogenannten "Informationszeitalters" bieten der Ludwig-Maximilians-Universität hervorragende Möglichkeiten für interdisziplinäre Arbeit in Forschung und Lehre. Es wird zunächst erläutert, wie sich mit dem Anbruch des Informationszeitalters die Informatik neuen Themen, auch aus nicht-technischen Fächern, öffnet und welche Perspektiven daraus für die Ludwig-Maximilians-Universität entstehen. Dann werden Fragestellungen für interdisziplinäre Kooperationen in Forschung und Lehre behandelt, die für die Ludwig-Maximilians-Universität besonders relevant sind. Letztlich wird auf die mögliche Gestalt von solchen Kooperationen eingegangen: Interdisziplinäre Forschungsprojekte zu neuen Themen, Entwicklungsprojekte zur Modernisierung der Universitätsinfrastruktur, "Einblickvorlesungen", interdisziplinäre Aufbaustudiengänge zu Themen des Informationszeitalters und "Bindestrichprofessuren". Die Autoren hoffen, daß dieser Bericht einen Anstoß zu neuen fakultätsübergreifenden Kooperationen in Forschung und Lehre sowie mit der Universitätsverwaltung geben wird.

Inhaltsverzeichnis

  1. Die Informatik wendet sich neuen Themen zu
  2. Perspektiven der interdisziplinären Arbeit in Forschung und Lehre zu Themen des Informationszeitalters an der Ludwig-Maximilians-Universität
  3. Interdisziplinäre Fragestellungen und Forschungsthemen des Informationszeitalters
    1. Juristische, politische und ethische Fragen der Informationsgesellschaft
    2. Raum- und Bildgebung
    3. Wissensmanagement, Kognition und Kommunikation
    4. Sprache
    5. Lebenswissenschaften
    6. Handel, Unternehmensführung und Verwaltung
  4. Vorschläge für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zu Themen des Informationszeitalters an der Ludwig-Maximilians-Universität
    1. Forschung
    2. Entwicklungsprojekte zur Modernisierung der Universitätsinfrastruktur
    3. Lehre
      1. "Einblickvorlesungen"
      2. Aufbaustudiengänge
      3. "Bindestrichprofessuren"
  5. Danksagung
  6. Anhang: Zum personellen Ausbau des Instituts für Informatik
  7. Literatur

  1. Die Informatik wendet sich neuen Themen zu
  2. In sehr vielen Lebens- und Wissenschaftsbereichen haben sich in den letzten Jahrzehnten Informatikmethoden und -werkzeuge durchgesetzt. Während dieser Einsatz zunächst in Naturwissenschaften, Industrie, Technik und Verwaltung stattfand, was das Bild der Informatik als Ingenieurwissenschaft geprägt hat, setzt er sich neuerlich mehr und mehr in fast allen anderen Wissenschaften, auch in nicht-technischen Fächern sowie in vielen Bereichen des nichtberuflichen Lebens durch. Ausdruck dieser Entwicklung ist zum Beispiel, daß seit ungefähr Mitte unseres Jahrzehnts vermutlich mehr Hardware - gemessen sowohl in Anzahl von Computern als auch in Rechenkraft - von Privatleuten als von Unternehmen gekauft wird. Der Einfluß dieser flächendeckenden Verbreitung von Informatikmethoden und -werkzeugen auf die Gesellschaft ist nicht zu verkennen. Zurecht spricht man vom Anbruch eines Informationszeitalters.

    Die neuen elektronischen Medien stellen viel mehr als eine Übertragung von alten Medien wie Büchern oder analogen Ton- bzw. Bildaufnahmen auf elektronische Träger dar, weil die Möglichkeiten zur Wissensverarbeitung, die sie anbieten, oft den Vorrang über ihre Funktion als Informationsspeicher einnehmen. Neue Wissenserwerbs-, Kommunikations- und Arbeitsformen entstehen, die nicht ausschließlich von Naturwissenschaftlern und Informatikern konzipiert werden können. Immer mehr rücken die Belange von Endbenutzern in den Vordergrund, die weder über Verwaltungs- noch technische Kenntnisse verfügen. Themen wie effektive Gruppenarbeit, Ergonomie, Didaktik und Rechtslage gewinnen innerhalb der Informatik an Wichtigkeit. Ein neues Bild der Informatik entsteht, das, ohne die etablierte und unverzichtbare ingenieur- und naturwissenschaftliche Arbeitsweise zu leugnen, zunehmend von sozial- und geisteswissenschaftlichen Fragestellungen beeinflußt ist.

    Diese Erscheinung, die mit historischen Entwicklungen nur bedingt vergleichbar ist, ist eine Herausforderung für die Gesellschaft und folglich auch für viele Wissenschaften. Für kaum eine Wissenschaft, für kaum einen Bereich des sozialen Lebens ist der Verzicht auf moderne computergestützte Arbeitsmethoden oder Werkzeuge auf Dauer denkbar. Neue Formen der Berufspraxis entstehen. Besonders betroffen sind Berufe der Presse, der Aus- und Weiterbildung, der Medizin, der Verwaltung und der Rechtspflege. Für einige Wirtschafts-, Sozial- und Geisteswissenschaften wird die Informatik sogar vom Werkzeug zum Forschungsgegenstand, was die Möglichkeit einer wechselseitigen Bereicherung sowohl dieser Wissenschaften als auch der Informatik eröffnet.

    Nicht nur für Gesellschaft und Wissenschaft ist der Anbruch des Informationszeitalters eine Herausforderung, sondern auch und vor allem für die Wirtschaft, die gleichwohl die wissenschaftliche Aufarbeitung und Mitgestaltung des neuen Zeitalters benötigt sowie Menschen, die auf die neuen Wissenserwerbs-, Kommunikations- und Arbeitsformen vorbereitet und mit den Fragestellungen des neuen Zeitalters vertraut sind.

    Diese Entwicklung eröffnet neue Möglichkeiten zu interdisziplinären Forschungsarbeiten, die sowohl den Universalitätsanspruch der akademischen Forschung als auch den gesellschaftlichen Anspruch auf Praxisnähe und wirtschaftliche Relevanz berücksichtigen. Diese Entwicklung verpflichtet jede Universität, die Lehre hinsichtlich der zu erwartenden Auswirkungen auf die verschiedenen Fächer neu zu überdenken. In Forschung sowie Lehre bietet diese Entwicklung der Ludwig-Maximilians-Universität ungeheure Chancen, weil in ihren Fakultäten fast alle, wenn nicht alle, der vom Anbruch des Informationszeitalters betroffenen Wissenschaften vertreten sind.

  3. Perspektiven einer interdisziplinären Arbeit in Forschung und Lehre zu Themen des Informationszeitalters an der Ludwig-Maximilians-Universität
  4. In der Forschung können die an der Ludwig-Maximilians-Universität breit vertretenen Sozial- und Geisteswissenschaften sowie einige andere Wissenschaften die oben geschilderte Entwicklung der Informatik nicht nur passiv begleiten, sondern auch an dieser Entwicklung aktiv mitwirken und dadurch neue, hochaktuelle Themen vertiefen bzw. sich diesen Themen annähern oder sie sich sogar aneignen. Der Gewinn der Informatik liegt dabei in der Aneignung von wissenschaftlichen Methoden und Fragestellungen, die in Natur- und Ingenieurwissenschaften bisher zu wenig, wenn überhaupt, verbreitet sind. Darüber hinaus würde eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Nichtinformatikern und Informatikern die Verbreitung neuer Informatikmethoden und -werkzeuge in anderen Fächern beschleunigen.

    Was die finanzielle Forschungsförderung angeht, stünde eine solche interdisziplinäre Zusammenarbeit prinzipiell nicht schlechter da als traditionellere Forschungen. So ist zum Beispiel die "Informationsgesellschaft" neben den Themen "Lebenswissenschaften" und "Produktion/Transport" und "Umwelt/Energie/nachhaltige Entwicklung" mit rund 6,5 Milliarden DM eines der vier geförderten Forschungsprogramme der Europäischen Union für den Zeitraum 1999-2003, die das laufende vierte Rahmenprogramm ablösen werden. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß nach Schätzungen der Industrie [1] die Basisinnovation im Bereich "Informationsgesellschaft" von deutschen und europäischen Unternehmen derzeit fast ausschließlich importiert wird.

    In der Lehre kann an der Ludwig-Maximilians-Universität eine weltweite Entwicklung berücksichtigt werden, indem die Ausbildungsangebote der verschiedenen Fakultäten besser an die Anforderungen der modernen Gesellschaft und Wirtschaft angepaßt sind und dabei die oft bemängelte sogenannte "computer literacy" der Absolventen von juristischen, sozial- und geisteswissenschaftlichen Studiengängen sichergestellt wird. Angesichts der Tatsache, daß die meisten Absolventen dieser Studiengänge u.a. in Presse, Verlagen, Werbung, Verwaltung, Personalberatung, Weiterbildung und nicht zuletzt als Lehrer tätig werden, würde eine breitere Öffnung dieser Studiengänge gegenüber der neuen Informatik zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit vieler Absolventen unserer Universität beitragen.

    Umgekehrt wäre eine Öffnung der Informatikausbildung zu Fragen und Arbeitsmethoden sonstiger Wissenschaften, insbesondere der Rechts- und Sozialwissenschaften, die sich aus einer interdisziplinären Zusammenarbeit in Forschung und Lehre ergäbe, ein bedeutender Beitrag zur Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Informatikabsolventen. Es ist eine immer wiederholte Klage der Softwareindustrie, daß einerseits die juristische und soziale Kompetenz der Informatikabsolventen, andererseits ihre Vorbereitung auf nicht nur Techniken, sondern auch Anwendungen der neuen Informatik unzureichend sind [3].

    Der Anbruch des Informationszeitalters eröffnet also unserer Universität Perspektiven für interdisziplinäre Arbeiten in Forschung und Lehre.

  5. Interdisziplinäre Fragestellungen und Forschungsthemen des Informationszeitalters
  6. Im folgenden sind einige der neuen interdisziplinären Fragestellungen und Forschungsthemen, die sich für interdisziplinäre Arbeiten in Forschung und Lehre an der Ludwig-Maximilians-Universität anbieten, näher erörtert. Damit ist weder beabsichtigt, die Selbständigkeit der anderen Fächer in Frage zu stellen, noch andere Fächer auf die hierunter erwähnten Themen einzuschränken. Diese Forschungsthemen sind gegliedert in sechs Themenbereiche:

    1. Juristische, politische und ethische Fragen der Informationsgesellschaft
    2. Raum- und Bildgebung
    3. Wissensmanagement, Kognition und Kommunikation
    4. Sprache
    5. Lebenswissenschaften
    6. Handel, Unternehmensführung und Verwaltung

    Diese Themenbereiche grenzen sich gegenseitig nicht aus, sondern stellen vielmehr einander überlappende Schwerpunkte dar. Sie werden hier in einer willkürlichen Reihenfolge aufgelistet. Auf Vollständigkeit wird kein Anspruch erhoben. Insbesondere werden "klassische" Anwendungsgebiete der Informatik, etwa in Naturwissenschaften, hier nicht erwähnt.

    1. Juristische, politische und ethische Fragen der Informationsgesellschaft

      Die fortschreitende Verbreitung der elektronischen Kommunikation sowie der Informatikmethoden und -werkzeuge in immer mehr Bereichen der Gesellschaft bringt neue juristische, politische und ethische Fragen mit sich, die innerhalb der Informatik nicht beantwortet werden können. Manche dieser Fragen sind von einer akuten Brisanz, und ihre Beantwortung betrifft oft nicht nur die Wirtschaft, sondern die ganze Gesellschaft. Wenn aus der Informatik eine zutreffende Fragestellung erwartet werden kann, verlangen akkurate Antworten die Mitwirkung von Juristen und möglicherweise in manchen Fällen auch von Politikwissenschaftlern. Die Softwareentwicklung wird immer noch vorwiegend von Ingenieuren bestimmt, die zumeist nur über geringe Rechtskenntnisse verfügen. Dies führt, wie oft beobachtet und beklagt, in Unternehmen immer wieder zu kostspieligen Änderungen von zuvor entwickelten Produkten [3].

      Wichtige aktuelle Themen sind: Datenschutz, Telearbeit, Informationsvermittlung, Daten- und Systemsicherheit und Authentifizierung, elektronischer Handel und Verbraucherschutz, Urheberrecht, Internationalisierung, Technologietransfer und Ethik. In allen diesen Bereichen, von denen die meisten im Zusammenhang mit dem Phänomen "Internet" besonders drängend werden, stellen neue Informatikmethoden die bisherigen Vorstellungen in Frage.

      Datenschutz. Allen Anzeichen nach sind die Gesetzgebungen zum Datenschutz der verschiedenen Länder angesichts der neuen Verfahren zur sogenannten "knowledge discovery" und "data mining" - unter deren Anwendung riesige Datenmengen systematisch auf gewisse Zusammenhänge durchforscht werden können - unzureichend, wenn nicht schlichtweg überholt. Darüber hinaus stellen die Unterschiede in der Datenschutzgesetzgebung innerhalb der Europäischen Union ein für Europa wichtiges Thema dar, auf das in Forschung und Lehre verstärkt eingegangen werden muß.

      Telearbeit. Die Telearbeit erfordert Regelungen, die bisher kaum untersucht worden sind. Dies betrifft einerseits die nationale Arbeitsrechtsgebung, andererseits die rechtlichen Regelungen des internationalen Handels, wenn z.B. die Softwareentwicklung oder -wartung auf verschiedene Kontinente verteilt ist, um u.a. die Vorteile der Zeitverschiebung zu nutzen. Allen Schätzungen nach [1] wird sich die Telearbeit in den kommenden Jahren in Deutschland verbreiten.

      Informationsvermittlung. Durch neue Medien und Kommunikationsmöglichkeiten entsteht ein neues Betätigungsfeld: die Informationsvermittlung ("information mediation"). Wegen der Unüberschaubarkeit des weltweiten Angebots an Information ist es sinnvoll und wirtschaftlich, Wegweiser anzubieten. Gesellschaften bilden sich, die ähnlich wie die heutigen Presseagenturen oder Bilddienste vorhandene, von Dritten angebotene Informationen herausfinden und vermitteln. Oft arbeiten diese Gesellschaften ohne oder mit geringem eigenen Informationsbestand und stützen sich auf "virtuelle Bibliotheken" (siehe auch 3F
      Handel, Unternehmensführung und Verwaltung).

      Daten- und Systemsicherheit und Authentifizierung. Es ist eine unter Informatikern verbreitete Meinung, daß eine Einschränkung der verschlüsselten Datenübertragung aus technischen Gründen nicht machbar ist. In vielen Ländern aber scheinen Regierungen und Gesetzgeber anderer Auffassung zu sein. Diese Frage berührt sowohl technische als auch gesellschaftspolitische und ökonomische Aspekte. Sie bedürfen ausführlicher Diskussionen, wobei Arbeitsgruppen aus Politik, Wirtschaft und Informatik beteiligt sein sollten.

      Elektronischer Handel. Erfahrungen in den USA und erste Experimente auch in Europa - z.B. in den letzten Monaten bei der Lufthansa - zeigen, daß der elektronische Handel hervorragende Perspektiven hat. Dies wird in allen Fachuntersuchungen - u.a. in der letzten vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie in Auftrag gegebenen Delphi-Studie [1] - bestätigt. Die Entwicklung des elektronischen Handels wird aber durch Mangel an präzisen Regelungen über das sogenannte "elektronische Geld" und über "elektronische Unterschriften" (siehe unten 3F Handel, Unternehmensführung und Verwaltung) sowie über die verschlüsselte Datenübertragung gebremst.

      Verbraucherschutz. Der Verbraucherschutz ist, was die Hard- und Software betrifft, unzureichend. Zum einen ist Nachrüstung und Aufwärtskompatibilität von Hard- und Software unzureichend gesichert. Zum anderen erfordert das Verfügen über akzentuierte Buchstaben (u.a. Umlaute) bei einigen Betriebssystemen immer noch schwierige und langwierige Softwareinstallationsarbeiten, was - zusammen mit anderen ähnlichen Problemen - dem Wirtschaftsstandort Europa einen nicht unbedeutenden Wettbewerbsnachteil auferlegt. Ein umfassender, der europäischen Kultur entsprechender Verbraucherschutz ist, mindestens aus wirtschaftlichen Gründen, überfällig.

      Urheberrecht. Von den zwei grundlegenden Auffassungen, dem angelsächsichen "copyright", nach dem eine einmalige Zahlung den Urheber entschädigt, und dem "kontinental-europäischen" Urheberrecht, nach dem jede Nutzung dem Urheber Anspruch auf eine Zahlung zusichert, scheint sich derzeit das "copyright" im Internet de facto, wenn auch nicht de jure, durchzusetzen. Eine de facto Abschwächung der Urheberrechte über Texte und Musikaufnahmen in Anlehnung an den ziemlich schwachen Schutz der Rechte über Bilder wird von vielen prognostiziert. Diese von vielen für positiv gehaltene Entwicklung ist aber nicht unproblematisch. Im Gegensatz zu einem auf Papier gedruckten Text oder einem auf analogem Träger aufgenommenen Musikstück stellt eine elektronische Version keine Kopie im üblichen Sinne dar, weil ihre Qualität und die Möglichkeiten ihrer weiteren Verarbeitung gleich wie - wenn nicht besser als - diejenigen des "Originals" sind. Eine elektronische Version kann also oft als "zweites Original" angesehen werden. Was im Informationszeitalter zählen sollte, ist die Nutzung einer Version, nicht das Verfügen über sie. Untersuchungen hinsichtlich einer dem Informationszeitalter angepaßten Gesetzgebung wären von großer wirtschaftlicher Bedeutung für das kontinentale Europa [6].

      Internationalisierung. Die fortschreitende Verflechtung der Märkte und die neuen elektronischen Kommunikationsmittel führen zu einer Internationalisierung der Softwareentwicklung, die bisher unzureichend beantwortete Rechtsfragen mit sich bringt: Allzuoft wird die Verantwortung eines Softwareverkäufers nach den Gesetzen des Landes geregelt, wo die Software entwickelt wurde und nicht, wie sonst üblich, wo sie verkauft wird. Diese Situation bringt in manchen Fällen nicht unerhebliche wirtschaftliche Nachteile mit sich. Die Globalisierung - u.a. der Softwareentwicklung - durch das Internet wirft viele Fragen straf- und zivilrechtlicher Art auf, die noch kaum untersucht worden sind.

      Technologietransfer. Inwieweit die - sowohl öffentlich wie privat finanzierte - europäische Informatikforschung dem Technologietransfer innerhalb von Europa zugute kommt, ist eine offene Frage, die zu wenig untersucht wird. Allgemein sind die weltweiten Ströme des Technologietransfers in der Informatik wenig bekannt. Es ist bemerkenswert, daß in den Vereinigten Staaten diesen Technologietransferströmen viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird als in Europa.

      Ethik. Die neueren Entwicklungen der Informatik stellen ethische Fragen, die bisher kaum untersucht worden sind. Ein Beispiel ist der Zugang zu Informationen. Er ist nicht für alle Bevölkerungsschichten garantiert, was zu neuen Formen der Ausgrenzung führen kann. Eine weitere Frage betrifft die Rechtfertigung der Entwicklung beliebiger Werkzeuge, deren Einsatz in anderen Bereichen ethischen Bewertungen unterworfen ist. Inwieweit darf z.B. ein Informatiker Verfahren zum Einsatz in der Gentechnologie entwickeln, sich aber gleichzeitig einer ethischen Reflexion entziehen? Nicht zuletzt in der Informatik stellt die Kluft zwischen technischen Entwicklungen und Reflexionen über die Auswirkung dieser Entwicklungen ein Armutszeugnis unseres Zeitalters dar. Die neueren Entwicklungen der Informatik, die die Einseitigkeit ihrer technischen Ausprägung vermindern, bahnen den Weg für eine bessere Berücksichtigung von ethischen Fragen in der Informatik.


    2. Raum- und Bildgebung

      Eine der beeindruckendsten Errungenschaft der Informatik der letzten Jahre ist die Möglichkeit zur Wiedergabe des Raumes. Unter Einbeziehung von Techniken wie Datenkompression, geometrischen Algorithmen, Datenindexierung und Speicherstrukturen sind Echtzeitdarstellungen sich verändernder räumlicher Gegenstände am Bildschirm möglich, die wie echte Filmaufnahmen wirken. Einige Filmemacher haben sich der neuen Technik bedient und sie dadurch in der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Nicht nur die naturgetreue Animation ist mit den neuen Verfahren möglich, sondern auch viele neue Ansätze zur Wiedergabe von mehr oder weniger abstrakten "Räumen" sowie neue Formen der Vermittlung von Information durch Bilder. Die Wiedergabe von abstrakten Räumen und die Bildgebung zur Informationsdarstellung sind vielversprechend und werden zunehmend untersucht. Einsatzgebiete dieser Techniken sind u.a. die Medizin, die Fertigungstechnik, die Geowissenschaften, die Lehre und die Museen.

      Nachstehend werden folgende Themen behandelt: Computergestützte Karten, Geowissenschaften, Simulation, weitere Möglichkeiten.

      Computergestützte Karten. Es ist heute nicht nur möglich, unter Anwendung des Computers die Nutzung von traditionellen zweidimensionalen Karten zu erleichtern, sondern ganz neue Arten von Karten zu entwickeln. Es ist z.B. möglich, drei Dimensionen zur besseren Darstellung eines im Grunde zweidimensionalen Gegenstandes zu verwenden. Künstliche Dimensionen können einer anschaulicheren Repräsentation dienen. Die verschiedenen öffentlichen Verkehrsmittel einer Stadt können z.B. entlang einer künstlich hinzugefügten dritten Dimension dargestellt und so zur Verbesserung der Darstellung voneinander getrennt werden. Darüber hinaus können Zooming-Effekte durch eine lokale Beugung des Raumes anschaulich verwirklicht werden. Ebenfalls kann der Standpunkt des Kartenbenutzers veränderbar gemacht werden, so daß er den Eindruck bekommt, sich durch den Plan zu bewegen. Was zur Wiedergabe von "echten", d.h. physikalischen Räumen möglich ist, kann auch zur Veranschaulichung von abstrakten Räumen verwendet werden: ähnlich wie der zuvor erwähnte Stadtplan können der Index einer Bibliothek, die Struktur eines Textes oder die Verwaltungsstruktur eines Großunternehmens mittels künstlicher Dimensionen "räumlich" vermittelt werden.

      Geo- und Geschichtswissenschaften. Wissenschaften, die die computergestützte Echtzeitdarstellung sich verändernder räumlicher Gegenstände nutzen können, sind offenbar zunächst die Geowissenschaften und ihre Anwendungen, wie die Landesplanung u.a. mit dem neuen Gebiet des sogenannten "location research" sowie die Wissenschaften, die die Karten verwenden - z.B. Geschichte und Ökologie. In der Landesplanung, in Deutschland insbesondere zu Umweltschutzzwecken, werden die erwähnten Verfahren schon seit Ende der 80er Jahre versuchsweise eingesetzt.

      Simulation. Eine weitere Anwendung der neuen Techniken ist die Simulation. In der Archäologie z.B. können die oben erwähnten Methoden eingesetzt werden, um die "eingescannten" - d.h. elektronisch erfaßten - Teile eines unbekannten zerbrochenen Objektes schneller und teil- oder vollautomatisch zusammenzufügen. Ebenfalls in der Archäologie kann die elektronische Erfassung einer Grabung eine Fortsetzung der Untersuchung mittels Simulationsverfahren ermöglichen, die sonst unmöglich wäre. Simulationsverfahren werden in vielen Wissenschaften zunehmend eingesetzt, z.B. in der Meteorologie und in der Chemie. In der Medizin wird die computergestützte mehrdimensionale Bildgebung eingesetzt, um z.B. Strahlentherapien im voraus an einem Simulationsmodell eines Patienten oder eines Organs zu überprüfen oder um chirurgische Eingriffe in einer "virtuellen Welt" vorzubereiten oder zu üben [1] (siehe auch 3E
      Lebenswissenschaften).

      Weitere Möglichkeiten. Die Möglichkeiten, die die computergestützte Wiedergabe von Raum und Bild gibt, sind noch bei weitem nicht alle untersucht worden. Es ist sehr gut denkbar, daß sie auch in den entstehenden neuen Medien Anwendung findet. Es ist denkbar, daß sich abstrakte Räume für Gruppenarbeit-Software viel besser eignen als die derzeitigen Videokonferenz- und Virtual-Reality-Systeme. Man kann auch überlegen, in der Kunstgeschichte die Wahrnehmung des Raumes eines Malers unter Anwendung von Simulationsmethoden zu ermitteln. Man kann an Anwendungen in der Psychologie zur Untersuchung der Wahrnehmung physischer oder abstrakter Räume denken: Menschen "sehen" bekanntlich abstrakte Begriffe nicht selten räumlich (siehe auch 3C Wissensmanagement, Kognition und Kommunikation).


    3. Wissensmanagment, Kognition und Kommunikation

      Eine in der Informatik verbreitete Anschauung bevorzugt die "Daten", d.h. die numerische oder symbolische Darstellung, gegenüber dem "Wissen", d.h. dem Dargestellten. Unaufhaltsam wird aber von dieser Anschauung Abschied genommen. So rücken z.B. in der Anwendungs- und Softwareentwicklung Modellierungsansätze und Softwareentwicklungsmethoden in den Vordergrund anstelle von Programmiersprachen. Themen wie Wissensrepräsentation, -akquisition, -verarbeitung und -verwaltung, automatisches Lernen und "knowledge discovery" erhalten inerhalb der Informatik immer mehr Aufmerksamkeit. Diese Themen prägen heute nicht nur die Künstliche Intelligenz, die sie eingeführt hat, sondern auch andere Informatikbereiche wie Datenbank- und Informationssysteme. Darüber hinaus verändert sich die Kommunikation einerseits zwischen Menschen dank neuer computergestützter Kommunikations- und Arbeitsformen, andererseits zwischen Benutzer und Computer. Diese Veränderung trägt zur Annäherung der Informatik an die Geistes- und Sozialwissenschaften bei.

      Die neuen Möglichkeiten der Informationsverarbeitung und der elektronischen Kommunikation werden als Basis für den Wandel unserer Gesellschaft zu einer "Wissensgesellschaft" angesehen, die ihre Lebensgrundlagen aus reflektiertem und bewertetem Wissen gewinnt und von den neuen Medien einen bewußten und lebenserleichternden, sozial nicht zerstörenden Gebrauch macht [11]. Mit der steigenden Bedeutung des Wissens als gesellschaftliche Ressource und wirtschaftlicher Produktionsfaktor wächst der Bedarf an "Wissensmanagement" - verstanden als intelligenter Umgang mit Information und Wissen unter Nutzung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien. Wissensmanagement wird als neues interdisziplinäres Feld vorgeschlagen [12], das Psychologie, Pädagogik, Betriebswirtschaft und Informatik gleichermaßen tangiert.

      Ein anderes interdisziplinäres Forschungsfeld bildet die sogenannte "kognitive Neurowissenschaft" ("cognitive neuroscience") [13], die (symbolische sowie subsymbolische) "Rechenmodelle" ("computational models") der geistigen Tätigkeit untersucht. Die kognitive Neurowissenschaft bringt Methoden der Kognitionspsychologie, der Psychopsychologie, der Psychobiologie, der Kognitionslinguistik und der Informatik - genauer der Künstlichen Intelligenz und der Simulation - zusammen. Auch Philosophen tragen zur kognitiven Neurowissenschaft bei. Die rasche Entwicklung dieser jungen Wissenschaft während der letzten Jahre beruht einerseits auf den Fortschritten der Informatik andererseits auf den neuen Werkzeugen - wie etwa Computertomographen -, die die Untersuchung der Aktivität eines (menschlichen oder tierischen) intakten Gehirns ermöglichen.

      Aktuelle Forschungsthemen im Bereich Wissensmanagement, Kognition und Kommunikation sind: Innovations- und Kreativitätsförderung, computergestützte Gruppenarbeit und Telearbeit, computergestützte Arbeitsplätze, Einsatz der neuen Medien in Lehre und Weiterbildung, Selbstorganisation in Gesellschaften, Metastrukturen zur Informationsvermittlung, Simulation, Benutzer-Computer-Schnittstelle, Computer-Assistenten und allgegenwärtiges Rechnen, multikulturelle Aspekte und Mehrsprachigkeit, automatische Erkennung psychophysiologischer Zustände und Subsymbolische Wissensrepräsentation.

      Innovations- und Kreativitätsförderung. Es ist bedrückend, daß trotz einer weltweit anerkannten Informatikforschung Westeuropa einschließlich Deutschland eine Importregion bildet, was den Innovationstransfer in die Softwareindustrie angeht - wie u.a. die im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie durchgeführte Delphi-Studie '98 [1] beklagt. Aus den folgenden Gründen ist eine Zusammenarbeit zwischen Informatikern und Psychologen in der Forschung wünschenswert: Einerseits sind die Ergebnisse der Innovations- und Kreativitätsforschung in der Softwareentwicklung anwendbar. Andererseits bietet die Informatik wegen der gewaltigen Schnelligkeit ihrer Entwicklung ein hervorragendes Experimentierfeld für die Innovations- und Kreativitätsforschung. In der Lehre kann eine Einführung in die Psychologie, u.a. in Methoden der Innovations- und Kreativitätsförderung, die "soziale Kompetenz" der Informatik-Absolventen verbessern und dadurch dazu beitragen, einen von der Softwareindustrie häufig beklagten Mangel zu beseitigen.

      Computergestützte Gruppenarbeit und Telearbeit. Technisch gesehen ist die computergestützte Gruppenarbeit über vernetzte Rechner keine Zukunftsvision mehr, sondern schon Realität. Jedoch leidet diese Arbeitsform oft an der Unzulänglichkeit der dazu eingesetzten Software. Überall führen Informatiker Experimente informell durch, die selten ausgewertet werden. Zum Beispiel werden Softwaresysteme über das Internet eingesetzt, um "physische Treffen" zu vermeiden. Die Informatiker verfügen in der Regel kaum über die notwendigen Kenntnisse und Methoden, um solche Experimente wissenschaftlich durchzuführen und auszuwerten. Hier müßten sozialwissenschaftliche Methoden eingesetzt werden, um z.B. die Organisation der Arbeit zu gestalten und die Effektivität zu messen. Ohne das Einbeziehen solcher Methoden werden die neuen Arbeitsformen, von denen neue Arbeitsplätze erhofft werden, vermutlich ziemlich uneffektiv bleiben. Es sei hier daran erinnert, daß ein radikaler Wandel der Arbeitsformen im kommenden Jahrzehnt in Deutschland zugunsten der computergestützten Gruppen- und Telearbeit vorausgesagt wird [1].

      Computergestützte Arbeitsplätze. Computergestützte Arbeitsplätze eignen sich besonders gut zur Steuerung unter extremen Situationen. Zur schnelleren Wahrnehmung von Anzeigen durch einen Piloten werden z.B. direkt auf die Windschutzscheibe Anzeigen eingeblendet: Man spricht von "erweiterter Wirklichkeit" ("extended reality"). Die computergestützten Hilfsmittel und die Arbeitsplätze für Behinderte stellen Sonderfälle der Steuerung unter extremen Situationen dar. Ihre Entwicklung kann Informatik und Sozialwissenschaften verbinden.

      Einsatz der neuen Medien in Lehre und Weiterbildung. Simulationssoftwaresysteme können eingesetzt werden, um das Aneignen von Automatismen zu verbessern, sei es im Bereich der physischen Erfahrung und Wahrnehmung - z.B. Flugsimulation und Simulation von Vorgängen in der Chemie und in der Physik - oder in abstrakten Bereichen - wie etwa Sprachen. Simulationssoftwaresysteme können auch zur Unterstützung von sogenannten "konstruktionistischen" Lehransätzen eingesetzt werden. Auch zum Erlernen von Gruppenarbeitsformen oder allgemein von sozialen Fähigkeiten kann die Simulationssoftware eingesetzt werden. Ebenfalls in diesem Bereich führen Informatiker Experimente durch, deren Auswertung das Einbeziehen von sozialwissenschaftlichen Methoden erfordert. Vermutlich werden spezielle Programmiersprachen entstehen zur Animation und Visualisierung abstrakter Zusammenhänge in Lehre und Weiterbildung. Die stetig fallenden Preise bei Heimcomputern und die Vertrautheit der jüngeren Generationen mit Computern werden den Einsatz von Computern in der Lehre erleichtern. Es wird vorausgesagt [1], daß sich in den kommenden Jahren die neuen Medien in der Lehre und Weiterbildung verbreiten werden.

      Selbstorganisation in Gesellschaften. Mitte der 80er Jahren gab ein Buch von Marvin Minsky, einem der Gründer der "Künstlichen Intelligenz", den Anstoß dazu, die bisher zentralisierte Struktur von Hard- und Software zu überdenken. Ohne auf eine zentrale Steuerung angewiesen zu sein, kann eine "Gesellschaft" von miteinander kommunizierenden sogenannten "autonomen Agenten", die nur über sehr einfache Fähigkeiten verfügen, ein komplexes, "intelligentes" Verhalten aufweisen. Dank des gleichzeitigen Durchbruchs der Rechnernetze setzte sich die Idee der Selbstorganisation in Gesellschaften von autonomen Agenten in vielen Bereichen der Informatik durch: Von der Verwaltung von Rechnernetzen über die Verwaltung von verteilten Datenbanken, die Vorgangsablaufverwaltung ("workflow management") bis hin zu Programmiersprachen wird der Agentenansatz eingesetzt und untersucht. Einen besonderen Bereich dieser Forschung stellt das sogenannte "künstliche Leben" dar, das das Verhalten von Lebewesen - wie etwa Ameisen oder Bienen -, von künstlichen Artefakten - wie die Dynamik von Fahrzeugströmen - oder von physikalischen Ereignissen - wie Wellen und der Ausbreitung eines Waldfeuers - experimentell unter dem Einsatz von Simulationsmethoden untersucht.

      Metastrukturen zur Informationsvermittlung. Mit der Möglichkeit, über Rechnernetze wie das Internet Informationssysteme zu befragen, die in unterschiedlicher Weise strukturiert sind, entsteht beim Befrager der Bedarf nach einer eigenen Strukturierung der von den verschiedenen Quellen gelieferten Auskünfte. Man spricht von "views", "data warehouses", "virtuellen Informationssystemen", "virtueller Strukturierung", "Metastrukturen" und "Metasuchmaschinen". Unter "Informationsvermittlung" ("information mediation") versteht man Methoden, um Information aus verschiedenen Quellen in einer einheitlichen Weise zu organisieren und darzustellen. Je breiter die Auskunftsbereiche der betrachteten Informationssysteme sind, desto notwendiger erweist sich eine systematische, wissenschaftliche Vorgehensweise bei der Konzeption von Metastrukturen. Hier sind Methoden wie Kognitionsmethoden anwendbar. Mit den "Internet-Suchmaschinen" und "guides", die Metastrukturen für das ganze "World Wide Web" anbieten und ständig aktualisieren, wird der Aufbau von Metastrukturen auch zur wirtschaftlichen Frage (siehe auch 3D
      Sprache).

      Simulation. Simulationsmethoden können u.a. in den Kognitionswissenschaften, in der Lern- und Neuropsychologie eingesetzt werden, um Theorien zur menschlichen Informationsverarbeitung experimentell zu vergleichen. Da menschliche Informationsverarbeitungsmethoden in Softwaresystemen nachgeahmt werden können, wäre eine interdisziplinäre Arbeit in diesem Bereich auch für die Informatik von großem Interesse.

      Benutzer-Schnittstelle. Die Ergonomie ist ein altes Thema in der Informatik, das jedoch in Forschung und Lehre immer noch wenig vertreten ist. Die Ergonomie eines Softwareproduktes ist aber bekanntlich eine entscheidende Eigenschaft für seinen Erfolg. Leider werden in der Softwareentwicklung zu selten Ergonomie- und Effektivitätsuntersuchungen durchgeführt. Angesichts der neueren Entwicklungen in der Informatik wären Ergonomieuntersuchungen in den folgenden Bereichen besonders erfolgversprechend: graphisch-textuelle Benutzerschnittstellen, kontrollierte Sprachen, Modellierungs- und Spezifikationssprachen, veränderbare reaktive Dokumente, Anfragesprachen für Informationssysteme, neue Arten von Eingabegeräten, multimediale Ausgaben, Gruppenarbeitssoftware für die Softwareentwicklung. Interdisziplinäre Arbeiten unter Einbeziehung von z.B. Designern, Graphikern, Architekturpsychologen (insbesondere, was die Wahrnehmung des Raumes angeht, siehe auch 3B Raum und Bildgebung), Pädagogen und Werbepsychologen wären vielversprechend. Untersuchungen mit dem Ziel, für Schulkinder passende Computer-Benutzer-Schnittstellen zu entwickeln, würden die Entwicklung von multimedialen Lehrmitteln unterstützen. Ergonomie- und Effektivitätsuntersuchungen, um die Anforderungen älterer Menschen zu ermitteln, sind ebenfalls wünschenswert.

      Computer-Assistenten und allgegenwärtiges Rechnen. Allen Prognosen nach wird in den kommenden Jahren die heutzutage übliche Bedienung des Computers durch den Benutzer sogenannten "bedienenden Computer-Schnittstellen" weichen. Anstatt den Benutzer an einen festen Platz zu binden, werden Computer Beweglichkeit und eine uneingeschränkte Verfügbarkeit ermöglichen. Man spricht von Computer-Assistenten und vom allgegenwärtigen Rechnen ("ubiquitous computing"). Dafür entstehen neue Arten von Benutzer-Computer-Schnittstellen, die die üblichen Ausdrucks- und Kommunikationsweisen der Menschen wahrnehmen - vor allem die gesprochenen Sprachen und sogar Gestik oder Mimik. Die Anwendungen sind vielfältig, von der Steuerung von Geräten - u.a. Fahrzeugen - bis hin zu Bürosoftware. Bei der Entwicklung der neuen Benutzer-Computer-Schnittstelle ist die Berücksichtigung der Mutterprache und der Kultur des Benutzers, insbesondere, was Ausdrucks- und Arbeitsweise angeht, von großem Belang. Potentiell hat hier das multikulturelle und mehrsprachige Europa einen Standortvorteil - zumindest was wissenschaftliche Untersuchungen angeht. In einigen Jahren könnte z.B. westeuropäische Software in Asien oder bei den kulturellen Minderheiten Nordamerikas besser ankommen als amerikanische Produkte.

      Multikuturelle Aspekte und Mehrsprachigkeit. Obwohl die neuen Kommunikationsmethoden technisch betrachtet keine Einbettung in einer gewissen Kultur erfordern, zeichnet sich das anbrechende Informationszeitalter durch das Vorherrschen der nordamerikanischen Kultur und der englischen Sprache aus. Verwaltungsbräuche, Gesetzgebungen, Arbeitskultur anderer Länder werden kaum berücksichtigt, was den internationalen Wettbewerb nicht unbedeutend beeinträchtigt. Eine in Europa entwickelte Software zur Buchführung in kleinen und mittelständischen Unternehmen ist z.B. für Amerika oder in Fernost selten ohne Anpassung einsetzbar. Auch ihr Einsatz in Europa erfordert Anpassungen, mindestens der Sprache [4]. Ebenfalls sind Gruppenarbeitssoftwaresysteme, die die Lösungsfindungs- und Teamarbeitskultur Japans nicht berücksichtigen, in diesem Land schwer einzusetzen [2, 5]. Bessere Kenntnisse davon, inwieweit kulturelle Besonderheiten, insbesondere die Mehrsprachigkeit und die Entscheidungsfindung, bei der Softwareentwicklung besser berücksichtigt werden können, würde den europäischen Softwareherstellern einen Marktvorteil, nicht zuletzt im eigenen Wirtschaftsraum, sichern. In diesem Zusammenhang sei betont, daß die Entwicklung von multikulturellen und mehrsprachigen Softwaresystemen nicht so leicht wie z.B. die von rein technischen Softwaresystemen in irgendein fremdes Land ausgelagert werden kann.

      Automatische Erkennung psychophysiologischer Zustände. Verfahren werden entwickelt, um aus Gesichtsausdrücken, Gestik oder Körperhaltung psychologische Zustände wie Gelassenheit, Reizbarkeit usw. automatisch zu erkennen. Man spricht - ironisch - von "affective computing". Zu solchen diagnostischen Aussagen können u.a. psychologische Methoden des "biofeedback" eingesetzt werden. Was heute noch für viele als Zukunftsvision erscheint, wird von einigen als wirtschaftlich aussichtsreich angesehen. Anwendungsbereiche sind u.a. das Training von Sportlern, das Lernen an Simulatoren und die Verbesserung von Benutzer-Computer-Schnittstellen. Diese Forschungsrichtung bietet ein ausgezeichnetes Experimentierfeld, um psychologische Hypothesen anzuwenden und auszuwerten. Heute schon wird an Computer-Assistenten mit "sozialer Kompetenz" gearbeitet, die z.B. Gesichter erkennen oder Hinweise über die Stimmung einer Person geben.

      Subsymbolische Wissensrepräsentation. Aus der Zusammenarbeit zwischen Kognitions- und Psychopsychologen, Psychobiologen und Informatiker in der sogenannten "kognitiven Neurowissenschaft" ist in den letzten Jahren ein neues Interesse an dem alten Rechenmodell der "künstlichen neuronalen Netze" aus den Anfangsjahren der Informatik entstanden, das weiter entwickelt und angewendet wurde. Die Untersuchung und Anwendung der künstlichen neuronalen Netze wird "Konnexionismus" oder "Subsymbolische Wissensrepräsentation" genannt. Dieses Gebiet verfolgt verschiedene, komplementäre Ziele: Die Aktivität des (menschlichen oder tierischen) Gehirns wird simuliert, Lernprozesse werden nachgeahmt, und manche Informatikverfahren - z.B. der Robotik und der künstlichen Vision - werden effizient implementiert. Ansätze der subsymbolischen Wissensrepräsentation werden auch von Hirn- und Bewußtseinforschern angewendet und untersucht (siehe 3E Lebenswissenschaften).


    4. Sprache

      In der Informatik ist die (natürliche) Sprache der Gegenstand der Computerlinguistik, die an der Ludwig-Maximilians-Universität von dem eng mit dem Institut für Informatik zusammenarbeitenden Centrum für Informations- und Sprachverarbeitung (CIS) vertreten wird. Das Themengebiet Sprache wird hier deswegen behandelt, weil in der Hardware- und Softwareentwicklung die Sprache und die Methoden der Computerlinguistik immer mehr an Bedeutung gewinnen.

      Im folgenden wird zunächst erläuert, wie in der praktischen, angewandten Informatik die Sprache die Stelle der Schrift einnimmt und wie Sprachverarbeitungsmethoden Eingang in die Systementwicklung finden. Wegen ihrer besonderen Wichtigkeit in der Industrie werden dann die sogenannten "kontrollierten Sprachen" erwähnt. Anschließend werden vorhersehbare technische Veränderungen angesprochen, die höchstwahrscheinlich die kommenden Jahrzehnte des Informationszeitalters prägen werden. Letztlich wird auf Anwendungen in Presse und Verlagswesen sowie auf die neue Tätigkeit der Informationsvermittlung und auf virtuelle Bibliotheken eingegangen.

      Von der Schrift zur Sprache. Mit der Textverarbeitung, die in der Forschung schon in den siebziger Jahren entwickelt wurde, sich aber erst gegen Anfang der achtziger Jahre überall durchgesetzt hat, ist die Schrift zu einem gewöhnlichen Gegenstand der Informatik geworden. Seit ein paar Jahren verbreiten sich Softwaresysteme zum Erkennen gesprochener Sprache und zu deren Übertragung in Schrift. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen, und die Sprache wird, wie zuvor die Schrift, zu einem zentralen Gegenstand der Informatik werden. Es ist z.B. unter Informatikern eine verbreitete Meinung, daß die nächste Generation von Betriebssystemen durch Fähigkeiten zur Sprachverarbeitung gekennzeichnet sein wird. Diese Meinung stützt sich auf die Verbreitung des sogenannten "mobile computing" und "ubiquitous computing", zwei Anwendungsbereiche der Informatik, die sich auf Betriebssysteme für sehr kleine, sogenannte "hand-held"-Computer stützen. Hierbei wird die Eingabe über Text durch Spracheingabe ersetzt. Wird die Sprache zum zentralen Gegenstand der Informatik, so werden für die Softwareentwicklung Methoden der Computerlinguistik einsetzbar, die bisher kaum, wenn überhaupt, in der allgemeinen praktischen Informatik berücksichtigt worden sind.

      Sprachverarbeitungsmethoden. Die Automatisierung von Methoden zur Textanalyse, Sprachanalyse und "Stilverarbeitung" ist denkbar und, aus der Sicht von Wirtschaft und Informatik, wünschenswert. Ähnlich wie die Textverarbeitungsmethoden es ermöglichen, die Gestalt eines Textes zu verändern, werden bald Werkzeuge entstehen zur Verbesserung und Verarbeitung des Stiles der geschriebenen bzw. gesprochenen Sprache. Es wird möglich sein, Wiederholungen und unschöne Sprachrhythmen automatisch zu erkennen und zu beseitigen, ähnlich wie heute Layout-Ungeschicklichkeiten automatisch beseitigt werden. Ebenfalls im Kommen ist die automatische Generierung von Zusammenfassungen aus geschriebenen oder gesprochenen Texten - zumindest für Schriften zu eingeschränkten Themen, wie etwa industrielle Gebrauchs- und Wartungsanweisungen. Es sei auch die automatische Sprachübersetzung erwähnt, die im letzten Jahrzehnt gewaltige Fortschritte gemacht hat, so daß akzeptable Produkte Einzug in die Sekretariate finden.

      Kontrollierte Sprachen. Die sogenannten "kontrollierten Sprachen" stellen einen vielversprechenden Bereich der angewandten Informatik dar. Unter diesem Namen versteht man Sprachen, die dank Einschränkungen sowohl des Vokabulars wie auch der Grammatik von natürlichen Sprachen ähnlich formal und eindeutig wie Programmiersprachen sind. Sie werden in der Industrie zu Spezifikationszwecken schon heute eingesetzt, z.B. in der Flugzeugindustrie für Wartungsanweisungen. Dieser an wirtschaftlicher Bedeutung gewinnende Bereich scheint noch am Anfang einer zukunftsträchtigen Entwicklung zu stehen. Die automatische Übersetzung einer kontrollierten Sprache in eine andere sowie die Entwicklung kontrollierter Sprachen, die nicht auf dem Englischen beruhen, sind vielversprechende Forschungs- und Entwicklungsrichtungen, bei welchen die Beteiligung von Nichtinformatikern nützlich erscheint.

      Vorhersehbare technische Veränderungen. Spezialisierte Computer in Gestalt von kleinen "sprechenden" Geräten werden für das kommende Jahrzehnt erwartet, womit zunächst Texte, dann auch Bilder, Ton und vor allem Sprache über Telefonsteckdosen aufgeladen und zur Verarbeitung stückweise wiedergegeben werden. Viele der "Softwareassistenten", die sich derzeit verbreiten, werden zukünftig sprachorientierte Benutzerschnittstellen besitzen, wie z.B. Terminplaner, Finanzassistent, Adreßbuch, Notizblöcke zur Aufnahme und Übertragung in Texte von gesprochener Sprache. Neue Visualisierungsmethoden sind im Entstehen, die unseren Bezug zu gedruckten Texten mindestens in einigen Bereichen, wie Lehre und Weiterbildung, verändern werden. Dadurch wird vermutlich unser Bezug zur geschriebenen und gesprochenen Sprache nicht weniger beeinflußt werden als z.B. in der Vergangenheit durch die Textverarbeitung.

      Anwendungen in Presse und Verlagswesen. Die neuen, in den vorangehenden Absätzen geschilderten Ansätze werden zunächst vor allem in der Presse und im Verlagswesen Anwendung finden. Man erwartet u.a. abrufbare Zeitungen und Bücher, Bilder und Ton. Unter Nutzung von Animationssoftware lassen sich neue Formen der Informationsdarstellung entwickeln, die prototypisch in Zeitschriften, Lehr- oder Fachbüchern Eingang finden. Neue Hilfsmittel werden erwartet, die Zusammensetzungen von Pressenachrichten nach eingegebenen Kriterien automatisch erzeugen oder Zeitungsartikel zu ausgewählten Themen automatisch sammeln werden. Suchmaschinen als Zeitschriftergänzungen werden schon heute in eingeschränkten Bereichen, wie zur Suche nach Zeitschriftanzeigen, eingesetzt. Man rechnet mit einem Zuwachs der Angebote der spezialisierten Presse oder Informationssysteme für die breite Öffentlichkeit. Im medizinischen Bereich spricht man in diesem Zusammenhang von Heim-Medizin ("home medicine") (siehe 3E
      Lebenswissenschaften).

      Informationsvermittlung. Neue Dienste erscheinen, die darin bestehen, aus den heute schon nicht mehr überschaubaren elektronisch verfügbaren Informationen das Gesuchte zu vermitteln, ähnlich wie z.B. eine Bildagentur den Zeitschriften und Verlagen Bilder vermittelt. Man spricht von Informationsvermittlung ("information mediation"). Die wirtschaftliche Bedeutung dieser Dienste ist schwer zu schätzen, jedoch unumstritten.

      Virtuelle Bibliotheken. Einen Spezialfall der Informationsvermittlung, der für eine große Universität wie die Ludwig-Maximilians-Universität besonders relevant ist, stellen die sogenannten "virtuellen Bibliotheken" dar. Dabei handelt es sich nicht um Bibliotheken im gewöhnlichen Sinne, die eigene Bücherbestände besitzen, sondern um die elektronische Vernetzung von Bibliotheken, die von dritter Stelle verwaltet werden - wie etwa Lehrstühlen, Instituten oder Fakultäten. Eine virtuelle Bibliothek ermöglicht eine einheitliche, automatisch ausgearbeitete Wiedergabe des gesammelten Datenbestandes oder zumindest Angaben dieses Datenbestandes, wenn die Dokumente nicht elektronisch abrufbar sind (siehe 4B Entwicklungsprojekte zur Modernisierung der Universitätsinfrastruktur).


    5. Lebenswissenschaften

      Seit langem stellen die Anwendungen der Informatik in der Medizin einen besonderen Zweig der angewandten Informatik dar. Diese Anwendungen sind ein wirtschaftlich besonders erfolgreicher Bereich der Softwareentwicklung, insbesondere für Europa: Die drei Konzerne Philips, General Electric und Siemens, darunter zwei europäische, teilen sich mehr oder minder den ganzen Weltmarkt. An vielen Universitäten ist die Fachrichtung "Medizinische Informatik" vertreten. Im letzten Jahrzehnt entstand neben der medizinischen Informatik die Bioinformatik ("computational molecular biology") aus Anwendungen der Informatik in der Biochemie, Chemie und Biologie. Im letzten Jahrzehnt entstand auch die "kognitive Neurowissenschaft" ("cognitive neuroscience"), die "Rechenmodelle" ("computational models") des (menschlichen oder tierischen) Gehirns untersucht (siehe 3C
      Wissensmanagement, Kognition und Kommunikation). Die Forschung über die "Selbstorganisation in Gesellschaften" und über das "Künstliche Leben" (siehe 3C Wissensmanagement, Kognition und Kommunikation) kann auch als Beitrag zu den Lebenswissenschaften angesehen werden.

      Die Themenbereiche der medizinischen Informatik werden hier in bildgebende Verfahren, Signalverarbeitung und Telemedizin unterteilt. Dann werden die folgenden aktuellen Themen der Bioinformatik kurz erläutert: Biometrische Unterschriften und "DNA-fingerprinting", Simulationsbiochemie und -biologie, die Entschlüsselung des menschlichen Genoms, Phylogenetische Bäume, Proteinfunktion und metabolische Pfade. Letztlich wird die Bewüßtseinforschung erläutert.

      Bildgebende Verfahren. Zu Diagnosezwecken oder zur Vorbereitung von Therapien - z.B. Strahlentherapien - oder zur Planung von chirurgischen Eingriffen, werden zwei- oder dreidimensionale Bilder von Organen oder Körperteilen erstellt und untersucht [1]. Bekannte Geräte, die die Daten dazu liefern, sind z.B. die Ultraschall-, Röntgengeräte und die Computertomographen. Visualisierungsverfahren werden eingesetzt, um unsichtbare Größen wie etwa Wärme zu repräsentieren. Die Entwicklung von medizinischen bildgebenden Verfahren verlangt nicht nur Informatikkenntnisse zur Bildverarbeitung, sondern auch medizinische Kenntnisse. In letzter Zeit zeichnet sich eine Entwicklung von den medizinischen bildgebenden Verfahren zur Simulation ab, damit z.B. chirurgische Eingriffe in einer virtuellen Welt vor dem eigentlichen Eingriff vorbereitet und geübt werden können. Aus der Sicht der Informatik betrachtet, stellen die medizinischen bildgebenden Verfahren einen Teil der allgemeinen Bildgebung dar (siehe 3B Raum- und Bildgebung).

      Signalverarbeitung. Komplementär zu den bildgebenden Verfahren ist die Verarbeitung von Datenströmen, die Geräte wie Elektrokardiogramm- oder Beatmungsgeräte liefern. Heutzutage werden diese Daten von dazu geschulten Ärzten interpretiert, die Darstellungen aus der Statistik oder allgemeinen Mathematik beherrschen müssen. Es zeichnet sich eine Tendenz zu Repräsentationen ab, die weniger wissenschaftliche Kenntnisse voraussetzen. Nicht nur die Heim-Medizin soll davon profitieren, sondern es soll dadurch auch für die Ärzte die Diagnose erleichtert und verbessert werden. Aus der Sicht der Informatik betrachtet, hat die medizinische Signalverarbeitung viele Berührungspunkte mit der allgemeinen Visualisierung.

      Telemedizin. In den letzten Jahren ist der Begriff Telemedizin aufgekommen, unter dem im Grunde zum einen die Nutzung der elektronischen Kommunikation in der Medizin verstanden wird, zum anderen Dienstleistungen im Gesundheitswesen gemeint werden, die sich mehr an den Patienten orientieren [7]. Ziel ist eine einheitliche Verwaltung der einen Patienten betreffenden Daten und die Kommunikation zwischen Labor, Krankenhaus, Hausarzt und Krankenversicherung. Die Telemedizin wird von vielen als wirtschaftlich bedeutend angesehen. Der neuere medizinische Ansatz namens "Evidenzmedizin" ("evidence medicine"), der auf der Auswertung von Erfahrungswerten beruht, wird sich vermutlich auf die Telemedizin stützen.

      Biometrische Unterschriften und "DNA-fingerprinting". Die wachsende Notwendigkeit, für viele Anwendungen die Identität einer Person zweifelsfrei festzustellen (siehe 3F Handel, Unternehmensführung und Verwaltung), ohne dabei einen Schlüssel oder sonstigen Erkennungscode zu verwenden, hat zur Idee der biometrischen Unterschriften geführt. Dabei handelt es sich um die automatische Erkennung von physischen Merkmalen wie etwa die Gestalt der Pupille oder eines Fingerabdrucks. Auf künstlichen neuronalen Netzen basierende Verfahren werden hierfür eingesetzt (siehe 3C Wissensmanagement, Kognition und Kommunikation). Obwohl die ersten Anwendungen schon jetzt stattfinden, bleibt die Auswahl einer für eine bestimmte Anwendung passenden biometrischen Unterschrift eine offene Frage. Die Messung von biologischen Merkmalen wird auch für das "DNA-fingerprinting" eingesetzt. Dabei werden unter dem Einsatz von "Biochips" alle Teilsequenzen von 8 Nukleotiden ("8-mers") der DNS-Sequenz einer Person automatisch erfaßt.

      Simulationsbiochemie und -biologie. Die computergestützte Simulation hat im letzten Jahrzehnt in immer mehr Bereichen Einzug gefunden. Bei der Simulationsbiochemie und -biologie wird anhand von experimentellen Modellen untersucht,
      • wie Virenhüllen in ikosihedralischer Form aus einer kleinen Anzahl von Proteinen in einer infizierten Zelle konstruiert werden können,
      • an welcher Stellen die zwei gebundenen Stränge einer DNS-Sequenz bei Transkriptions- und Replikationsereignissen auseinandergespalten werden können,
      • inwiefern der genetische Code nicht-überlappender Dreiercodes für die Übersetzung von drei Nukleotiden durch eine Aminosäure optimiert werden kann und
      • wie große Moleküle durch natürliche Auslese entstehen konnten.


      Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms ist einer der Gründe für die Aufmerksamkeit, die in den letzten Jahren der Bioinformatik entgegengebracht wurde. Zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms sind neue Algorithmen entwickelt worden, die mit großem Erfolg eingesetzt wurden. Vorherige, sowohl praktische als auch theoretische Ergebnisse und Methoden aus der Algorithmik und Komplexitätstheorie finden Anwendung zur Lösung dieser großen Herausforderung unserer Zeit. Mustererkennungsalgorithmen wie u.a. die Hidden-Markov-Modelle, die ursprünglich für die Spracherkennung und -verarbeitung entwickelt wurden, werden eingesetzt, um u.a. Gene, Promotor-Sequenzen, "Intronen/Exonen splice-sites", zu erkennen.

      Phylogenetische Bäume. Algorithmen zur Ähnlichkeitsbestimmung zwischen verschiedenen Nukleotid- und Aminosäurensequenzen werden entwickelt, die den genetischen Abstand zwischen zwei Individuen feststellen. Aus einer Klassifizierung von Proteinsequenzen, die aus einer Genomanalyse gewonnen werden, werden Stammbäume konstruiert, die u.a. zur Untersuchung von genetisch bedingten Krankheiten, zur Klassifizierung der Allelen menschlicher Gene sowie zur Bestimmung der Beziehung zwischen z.B. homo sapiens und homo neanderthalis eingesetzt werden können. Zur Konstruktion und Untersuchung von Stammbäumen sind neue, effiziente Algorithmen notwendig, die Evolutionsmodelle berücksichtigen.

      Proteinfunktion. Aus einer Aminosäurensequenz, d.h. einer linearen Darstellung eines Proteins, wird mit Hilfe des Computers die dreidimensionale Form des Proteins untersucht, um daraus Schlüsse über seine Funktion zu ziehen. Das sogenannte "Protein-docking", d.h. die Bestimmung der dreidimensionalen Komplementarität zwischen einem Enzym und einem Substrat, wird durch die Entwicklung neuer Datenstrukturen zur Beschreibung der geometrischen Oberfläche durch kombinatorische Optimierungsverfahren (wie Monte-Carlo, genetische Algorithmen, usw.) sowie Datenbankmethoden auf dem Rechner getestet. Direkter Anwendungsbereich dieser Methoden ist das sogenannte "drug design", eine Technik, in die die Pharma-Industrie derzeit viel investiert.

      Metabolische Pfade. Es wird mit Hilfe des Computers untersucht, wie die einzelnen Stoffe und Proteine in einem Organismus eingesetzt werden können und wie sie dann zusammenspielen würden. Klassifizierung der dazu benötigten Proteine sowie von Nebenprodukten führt unter Anwendung der Computersimulation zu einem besseren Verständnis davon, wie Stoffe auf Organismen wirken.

      Bewußtseinforschung. Seit einigen Jahren arbeiten u.a. Hirnforscher, Philosophen, Neuro- und Psychobiologen zusammen, um das Bewußtsein zu erforschen mit dem Ziel, ein neurologisches Modell dieses Phänomens zu entwickeln. "Rechenmodelle" ("computational models"), die die Aktivität der Neuronen beschreiben sollen, werden vorgeschlagen. Einige Philosophen beiteiligen sich aktiv an der Bewußtseinforschung: Man spricht von "Neurophilosophie". Die Bewußtseinforschung grenzt an die "kognitive Neurowissenschaft" (siehe Wissensmanagement, Kognition und Kommunikation) und dadurch an Psychologie, Pädagogik, Philosophie und Informatik.


    6. Handel, Unternehmensführung und Verwaltung

      Eigentlich handelt es sich bei diesen Themen um Themen der Wirtschaftsinformatik. Die Wirtschaftsinformatik stellt einen Zweig der Informatik dar, der an der Ludwig-Maximilians-Universität anders als an vielen anderen Universitäten mit keinem selbständigen Institut vertreten ist. Im folgenden werden lediglich einige Themen des Informationszeitalters erwähnt, ohne dabei die Selbständigkeit der Wirtschaftsinformatik in Frage zu stellen und ohne die Wirtschaftsinformatik auf diese wenigen Themen einzuschränken.

      Im einzelnen handelt es sich um folgende Themen: Neue Medien in Werbung und Handel, Vorgangsablaufsmodellierung, Intranet und Elektronisches Geld.

      Neue Medien in Werbung und Handel. Die neuen Medien, vor allem das Internet, eignen sich prinzipiell hervorragend für die Produkt- und Dienstvermittlung, u.a. für die Tätigkeit von Versandhäusern. Die neuen Medien und das Internet bieten einen neuen Raum für die Werbung: Heute schon stellt sich (fast) jedes Unternehmen mit Web-Seiten der Öffentlichkeit dar. Aller Schätzung nach wird diese Entwicklung der letzten Jahre nicht aufhören, sondern es werden neue Werbungs- und Handelsformen entstehen bzw. an Bedeutung gewinnen. Wie in anderen Absätzen erwähnt, werden "Informationsvermittler" Dienste anbieten zum Auffinden eines passenden Produkts, wie heute schon Drittunternehmer Telefonnummern vermitteln.

      Vorgangsablaufsmodellierung. Unter dem Namen der Vorgangsablaufsmodellierung oder "workflow management" versteht man die Modellierung der Verwaltungsabläufe einer Behörde oder eines Unternehmens. Obwohl die Modellierung der sogenannten "statischen Information" mit Datenbanksystemen heutzutage überall durchgeführt wird, beginnt erst jetzt die Automatisierung der Dynamik von Behörden und Unternehmen. Eine Universität könnte ein hervorragendes Experimentierfeld bieten - man denke nur z.B. an die Verwaltung der Lehrstuhletats und von Reiseanträgen, oder an die Immatrikulationsvorgänge (siehe 4B
      Entwicklungsprojekte zur Modernisierung der Universitätsinfrastruktur).

      Intranet. Mit dem Begriff Intranet - statt Internet - bezeichnet man Netzwerke und deren Software, die intern in einem Unternehmen oder einer Behörde eingesetzt werden. Dabei sind die Anpassung an die Besonderheiten der Behörde oder des Unternehmens und die Einhaltung von internen Regeln ("company rules") die zentralen Themen.

      Elektronisches Geld. Mit diesem Begriff werden verschiedene Ansätze zur Zahlung in elektronischen Informationsnetzen verstanden: Von aufladbaren Chip-Karten bis zur Software, die eine ähnliche Buchführung tätigen wie ein Kreditinstitut. Der Bereich ist ziemlich neu, und es haben sich kaum Methoden durchgesetzt. Allen Schätzungen nach wird dieser Bereich noch an Bedeutung gewinnen.


  7. Vorschläge für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zu Themen des Informationszeitalters an der Ludwig-Maximilians-Universität
  8. Wahrscheinlich werden manche der Themen, die in den vorangehenden Absätzen erläutert wurden, nicht die Wichtigkeit haben, die ihnen heute einige einräumen. Es ist z.B. fraglich, ob die Nutzung der neuen Kommunikationsformen tatsächlich zu "virtuellen Universitäten" führen, die die üblichen, an Orte gebundenen und den persönlichen Kontakt fördernden Universitäten ersetzen werden. Es bestehen aber keine Zweifel an der Nützlichkeit - insbesondere für Universitäten - der neuen Kommunikationsformen. Der Anbruch des Informationszeitalters eröffnet jeder Universität Perspektiven für interdisziplinäre Arbeiten in Forschung und Lehre. Für die Ludwig-Maximilians-Universität sind diese Perspektiven äußerst vielversprechend, weil ihre Fakultäten viele relevante Fächer - wie etwa Rechtswissenschaft, Kommunikationswissenschaft, Pädagogik, Psychologie und Wirtschaft - vertreten.

    Im folgenden werden Formen vorgeschlagen, die diese Zusammenarbeit in Forschung und Lehre zwischen dem Institut für Informatik und anderen Universitätseinrichtungen annehmen könnte:

    1. Forschung
    2. Entwicklungsprojekte zur Modernisierung der Universitätsinfrastruktur
    3. Lehre
      1. "Einblickvorlesungen"
      2. Aufbaustudiengänge
      3. "Bindestrichprofessuren"


    1. Forschung

      Was die Forschung angeht, sei zunächst an die derzeitige Zusammenarbeit des Instituts für Informatik mit anderen Instituten, Kliniken oder Fakultäten erinnert:

      • Fakultät für Betriebswirtschaft
      • Kliniken der Medizinischen Fakultät
      • Institute der Fakultät für Philosophie, Wissenschaftstheorie und Statistik
      • Institute der Fakultät für Psychologie und Pädagogik
      • Institute der Philosophischen Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaft II
      • Mathematisches Institut (Fakultät für Mathematik und Informatik)
      • Genzentrum und Zoologisches Institut der Fakultät für Biologie

      Aus der Sicht der Informatik sind weitere Kooperationen zu Grundlagenfragen des Informationszeitalters anzustreben, z.B. mit der Juristischen Fakultät, mit dem Institut für Kommunikationswissenschaft, mit der Fakultät für Psychologie und Pädagogik, mit der Fakultät für Betriebswirtschaft und zu Themen der Telemedizin mit der Medizinischen Fakultät.

      Anwendungen des Informationszeitalters könnten in Zusammenarbeit mit fast allen Fakultäten prototypisch konzipiert und entwickelt werden. Projekte, die Forscher aus mehr als zwei Fachrichtungen zusammenbringen würden, wären auch denkbar.

      Die Erforschung von Anwendungen in Zusammenarbeit mit der Universitätsverwaltung - dafür käme das Referat für Kommunikations- und Informationstechnik in Frage - und mit der zentralen Universitätsbibliothek ist besonders wünschenswert (siehe 3F
      Handel, Unternehmensführung und Verwaltung).


    2. Entwicklungsprojekte zur Modernisierung der Universitätsinfrastruktur

      Eine Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und Universitätsverwaltung an Entwicklungsprojekten zur Einführung der neuen Kommunikations- und Arbeitsformen an der Universität erscheint besonders vielversprechend. Solche Projekte hätten den Vorteil, einerseits einigen sonstigen akademischen Forschungsvorhaben ein praktisches Experimentierfeld und damit eine hilfreiche anwendungsorientierte "Flankierung" zu bieten, andererseits eine nun fällige Modernisierung der Universitätsinfrastruktur anzugehen.

      Kronkrete Themen für Entwicklungsprojekte dieser Art, an denen sich Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen beratend bzw. leitend beteiligen könnten, sind u.a:

      • Einsatz der WWW-Kommunikation in der Verwaltung. Aus Gründen der Skalierbarkeit, der Wartung und der Anpassungsfähigkeit sind Internet- bzw. WWW-basierte Formulare und sonstige Verwaltungsunterlagen für ein breit verteiltes Unternehmen wie die Ludwig-Maximilians-Universität besonders passend. Der Einsatz solcher Methoden z.B. zur Dienstreiseverwaltung, Raumverwaltung, Lehrstuhlbuchführung und Immatrikulation erscheint besonders vielversprechend.


      • Überwindung der räumlichen Verteilung. Der Einsatz von Videokonferenz-Systemen in der Lehre oder in der Fakultätsverwaltung ist ein Mittel unter anderen, um die räumliche Verteilung vieler Einrichtungen zu überwinden.


      • Computergestützte Lehr- und Tutorsysteme.
      • An jeder Hochschule, in jedem Fach kommt der Einsatz der neuen Medien in der Lehre in Frage. Aufgrund der Vielfalt ihrer Fächer bietet sich die Ludwig-Maximilians-Universität besonders gut zur Entwicklung bzw. Erprobung dieser neuen Lehrmittel an.

      • Universitätsbibliothek. Internet- bzw. WWW-zugängliche Kataloge und Indexe sowie eine elektronische Erfassung der Ausleihe in allen Zweigen der Universitätsbibliothek sind notwendig, um die Nutzung eines zwangsläufig verteilten Buchbestandes über die verschiedenen Universitätseinrichtungen hinweg zu ermöglichen. Auch ohne elektronische Erfassung der Inhalte können sowohl die Benutzerfreundlichkeit als auch die Wirtschaftlichkeit einer Universitätsbibliothek dadurch wesentlich gesteigert werden, daß verteilte Bestände und deren Verfügbarkeit über einheitliche WWW-Seiten und unter dem Einsatz von modernen Suchmaschinen abgefragt werden können.


      • Elektronische Verfügbarkeit von Dissertationen und Habilitationsschriften. Mit ihren Dissertationen und Habilitationsschriften präsentiert sich eine Universität der Wissenschaft, der Gesellschaft und nicht zuletzt der Wirtschaft. Aus diesem Grund ist die elektronische Verfügbarkeit der Dissertationen und Habilitationsschriften im Kommunikationszeitalter unaufschiebbar. Ein Entwicklungsprojekt zu diesem Thema, möglicherweise in Zusammenarbeit mit der Universitätsbibliothek, könnte Lösungen schnell einleiten. Im Rahmen eines solchen Entwicklungsprojekts wären u.a. Rechtsfragen zu untersuchen.

      Diese Liste setzt weder Prioritäten, noch schließt sie andere Möglichkeiten aus.

      In diesem Zusammenhang sei an das Konzept der Ludwig-Maximilians-Universität zur Errichtung eines interuniversitären "Zentrums für Landnutzung, Ernährung und natürliche Ressourcen" [10] erinnert, das ähnliche Maßnahmen vorsieht: "moderne Kommunikationstechniken" sollen "die intensive Zusammenarbeit über räumliche und organisatorische Grenzen hinweg" sowie "den praxisorientierten, Direkt- und Fernlehrunterricht" ermöglichen, um keine "bisherigen Organisationsstrukturen kurzfristig zu ändern".

    3. Lehre

      Aus der Sicht der Informatik wäre eine Erweiterung der Informatikerausbildung mit Einführungs- oder "Einblickvorlesungen" unter anderem aus den folgenden Bereichen besonders wünschenswert:

      • Software- und Urheberrecht
      • Kommunikationswissenschaft - Zeitungswissenschaft
      • Graphische Gestaltung
      • Pädagogik und Psychologie

      Die Kompetenz der Informatikabsolventen außerhalb ihrer technischen Bereiche wird häufig bemängelt. Insbesondere die sogenannte "soziale Kompetenz" und die Aufgeschlossenheit der Informatikabsolventen bezüglich Rechtsfragen könnten unter Mitwirkung von Wissenschaftlern aus den erwähnten Fächern gefördert werden. Grundkenntnisse zur graphischen Gestaltung wären im Informationszeitalter für jeden Informatiker eine nützliche Bereicherung.

      Mehrere Fragen stellen sich: Zum einen, wie Lehrleistungen zwischen Fächern ex- und importiert, zum anderen, wie solche "Einblickvorlesungen" studiums- und prüfungsmäßig anerkannt werden können.

      Ein dauerhafter Ex- und Import von Lehrleistungen zwischen Fächern scheint - außer in Ausnahmefällen - nur dann denkbar, wenn jedes beteiligte Fach genausoviel - oder sogar mehr - importiert wie exportiert.

      Die Studiums- und Prüfungsrelevanz einer interdisziplinären Lehrveranstaltung hängt natürlich von der Art der Veranstaltung ab. Im folgenden werden zwei Modelle vorgeschlagen: Zum einen vorlesungsähnliche Veranstaltungen, "Einblickvorlesungen" genannt, deren Studiums- und Prüfungsrelevanz von jedem der beteiligten Fächer für sich entschieden werden könnte. Zum anderen Aufbaustudiengänge, die der Einfachheit halber an einer Fakultät angesiedelt werden könnten.

      Es sei daran erinnert, daß interdisziplinäre Lehrveranstaltungen, seien es "Einblickvorlesungen" oder Aufbaustudiengänge, an denen Dozenten von verschiedenen Fächern beteiligt sind, die interdisziplinäre Forschung fördern würden.

      1. "Einblickvorlesungen"

        Interdisziplinäre Vorlesungen könnten unter Mitwirkung von Dozenten aus z.B. vier oder fünf Fakultäten angeboten werden, um Einblicke in verschiedene, komplementäre Fächer zu bieten. Mögliche Themen solcher interdisziplinären Lehrveranstaltungen sind: "Neue Medien", "Neue Arbeitsformen" und "Wissensmanagement, Kognition und Kommunikation".

        • Neue Medien. Zu diesem Thema könnte eingeführt werden in Software- und Urheberrecht, Journalismus, graphische Gestaltung von Bildern und Texten und Sprachen des World-Wide-Web (wie SGML, HTML, XML).


        • Neue Arbeitsformen. Zu diesem Thema könnte eingeführt werden in Software- und Arbeitsrecht, psychologische und organisatorische Aspekte der Gruppenarbeit und computergestützte Gruppenarbeit.


        • Wissensmanagement, Kognition und Kommunikation. Zu diesem Thema könnte eingeführt werden in Wissenserwerb aus dem Standpunkt der Pädagogik und/oder Psychologie, Informatik-Methoden der Wissensverwaltung und -akquisition und Sprachverarbeitungsmethoden des "information retrieval".

        Eine "Einblickvorlesung" könnte 4 Semesterwochenstunden Vorlesung umfassen, wovon jede beteiligte Fakultät bzw. jedes beteiligte Institut 1 Semesterwochenstunde zu leisten hätte, ergänzt mit 2 bis 4 Semesterwochenstunden für praktische Übungen. Damit sich die Nichtinformatiker unter den Studenten ausreichend in die Informatikthemen einarbeiten können, könnte möglicherweise eine anteilmäßig größere Beteiligung der Informatik an der Übungsbetreuung erforderlich sein.

        Damit die Studenten der beteiligten Fächer ausreichend in dem eigenen Fach ausgebildet sind, bevor sie eine "Einblickvorlesung" hören, wären vermutlich diese im Hauptstudium anzusiedeln.

        Berechnet in Semesterwochenstunden würde nach diesem Modell jede Fakultät mehr importieren als leisten. Wenn aus der Sicht einer beteiligten Fakultät die angebotenen "Einblickvorlesungen" eine sinnvolle Ergänzung des eigenen Lehrangebotes darstellen, dann lohnen sich zweifelsohne diese interdisziplinären Lehrveranstaltungen für diese Fakultät.


      2. Aufbaustudiengänge


      3. Aufbaustudiengänge zu ähnlichen Themen wie die im vorangehenden Absatz behandelten "Einblickvorlesungen" würden eine tiefere und gründlichere Behandlung dieser Themen ermöglichen. Der Aufwand, sowohl um Aufbaustudiengänge zu gründen, wie auch um sie zu betreuen, ist dermaßen groß, daß eine "Einblickvorlesung" ein sinnvoller Vorlauf eines möglichen Aufbaustudienganges sein könnte.

        Themen für Aufbaustudiengänge, die an der Ludwig-Maximilians-Universität besonders sinnvoll wären, sind unter anderem:

        • Medizinische Informatik
        • Kognitive Neurowissenschaft
        • Wissensmanagement, Kognition und Kommunikation
        • Bioinformatik
        • Bildgebende Verfahren und Geowissenschaften
        • Rechtsfragen der Informationsgesellschaft
        • Journalismus und Neue Medien
        • Neue Arbeitsformen

        Diese Liste setzt weder Prioritäten, noch schließt sie andere Möglichkeiten aus.

        An einigen Universitäten Deutschlands sind neuerlich Aufbaustudiengänge zu ähnlichen Themen entstanden, und weitere sind in Vorbereitung, wobei die Interdisziplinarität nicht immer gewährleistet ist. Unter anderem seien die folgenden Studiengänge erwähnt:

        • Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht. An der Universität Münster für Jurastudenten als einjährige Zusatzausbildung.


        • Computational Logic. An der Technischen Universität Dresden als internationaler, englischsprachiger Diplom- sowie Master-Aufbautudiengang in 4 Semester unter Mitwirkung von Gastdozenten für Informatik- und Mathematikstudenten.


        • Computational Visualistic. An der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg als Master-Aufbaustudiengang für Studenten mit abgeschlossenem Studium mit Informatik als Haupt- oder Nebenfach.


        • Kognitionswissenschaft. An der Universität Osnabrück als internationaler Studiengang mit Beiträgen aus Philosophie, Linguistik, kognitive Neurowissenschaft, Informatik und Psychologie.

        An manchen Universitäten sind sogar reguläre Informatik-Studiengänge zu Themen des Informationszeitalters in Vorbereitung, u.a.:

        • Computervisualistic. Informatik-Studiengang in 9 Semestern an der Universität Koblenz-Landau mit Themen wie etwa Ästhetik und Kunstgeschichte, Kognition und Wissensmanagement, Psychologie des Visuellen, philosophische Wahrnehmungstheorie, Wissenserwerb mit Bildern und Grafiken, multimedial verteilte Arbeit, Entwicklung multimedialer Lehr- und Lernprogramme [8].

        Zur Gründung eines Aufbaustudienganges reicht die derzeitige Personalausstattung des Instituts für Informatik kaum (siehe unten
        Anhang: Zum personellen Ausbau des Instituts für Informatik) . Auch nach Vollendung seines Ausbaus würde die Kerninformatik vermutlich nicht alle wünschenswerten Themen abdecken. Deswegen empfiehlt es sich, die Gründung von "Bindestrichprofessuren" in Erwägung zu ziehen.

      4. "Bindestrichprofessuren"


      5. Unter dem Namen "Bindestrichprofessuren" seien Professuren verstanden, die angesiedelt an unterschiedlichen Fakultäten den Bezug dieser Fakultäten zu einem anderen Bereich in Forschung und Lehre vertreten. Dabei kann es sich sowohl um Informatik-Professuren handeln, die besonderen Anwendungsgebieten - wie etwa Rechts- oder medizinischer Informatik - gewidmet sind, als auch Professuren anderer Fächer, die als Schwerpunkte informatikbezogene Fragestellungen dieser Fächer haben. Es sei daran erinnert, daß es schon solche Professuren gibt, z.B. die Professuren für Computerlinguistik.

        Naheliegende Schwerpunkte für solche "Bindestrichprofessuren", die für die Ludwig-Maximilians-Universität in Forschung und Lehre besonders gewinnbringend wären, ergeben sich unmittelbar aus der vorangehenden Ausführung, u.a.:

        • Fragen der neuen Arbeits- und Kommunikationsformen
        • Produktivität und Qualität der computergestützten Gruppenarbeit
        • Computergestützte Lehr- und Tutorsysteme
        • Nutzung der neuen Kommunikationsformen
        • Anwendungen der Bildgebung
        • Anwendungen der Computersimulation
        • Kognitive Neurowissenschaft

        Diese Liste setzt weder Prioritäten, noch schließt sie andere Möglichkeiten aus.



      Die Autoren hoffen, daß dieser Bericht einen Anstoß zu weiteren fakultätsübergreifenden Kooperationen in Forschung und Lehre sowie mit der Universitätsverwaltung geben wird.



    4. Danksagung
    5. Besonderer Dank für ihre Anregungen und Hinweise gebührt Dr. Rolf Backofen (Institut für Informatik), Dr. Felix Brodbeck (Fakultät für Psychologie und Pädagogik), Dr. Christoph Draxler (Institut für Phonetik und Sprachliche Kommunikation), Dr. Norbert Eisinger (Institut für Informatik), Prof. Dr. Franz Guenthner (Centrum für Informations- und Sprachverarbeitung - CIS), Dr. Alexander Herold (Siemens AG MED GT, Erlangen), Prof. Dr. Heinz Mandl (Fakultät für Psychologie und Pädagogik), Marko Pareigis (FAST, München), Prof. Dr. Klaus Schulz (Centrum für Informations- und Sprachverarbeitung - CIS), Prorektor Prof. Dr. Heinrich Soffel (Fakultät für Geowissenschaften), Leon Strous (Bank of the Netherlands, Amsterdam), Dr. Laurent Vieille (Next Century Media, Inc., Sausalito, USA), Prof. Dr. Hans Wagner (Institut für Kommunikationswissenschaft - Zeitungswissenschaft) und Prof. Dr. Franz Waldenberger (Japan-Zentrum).

      Für ihre Unterstützung bei der Fertigstellung dieses Berichtes gilt Susanne Grienberger (Institut für Informatik) und Ellen Lilge (Institut für Informatik) ein besonderer Dank.


    6. Anhang: Zum personellen Ausbau des Instituts für Informatik
    7. Vorhandene Professorenstellen. Das Institut für Informatik verfügt bisher nur über 7 der Professuren, die die zur Planung des Ausbaus der Informatik eingesetzte Kommission vorgeschlagen hatte. Von diesen 7 Professuren steht eine im Besetzungsverfahren (sie wird derzeit vertreten); der Inhaber einer anderen dieser Professuren ist ex officio Leiter des Leibniz-Rechenzentrums und daher an der Universität nur mit einem eingeschränkten Lehrdeputat von 2 Semesterwochenstunden verfügbar.

      Beantragte Professorenstellen. Eine C4-Professur für praktische Informatik ist bereits im Jahre 1997, zwei C3-Professuren für praktische Informatik sind in Mai 1998 beantragt worden. Vorgeschlagene Schwerpunkte der beantragten Professuren sind neben grundlegenden Fragestellungen der praktischen Informatik Anwendungen und Themen des Informationszeitalters.

      Kommission zur Planung des Ausbaus der Informatik. An dieser Kommission sind neben der Fakultät für Mathematik und Informatik die folgenden Fakultäten beteiligt:


      Weitere aktuelle Auskünfte über den Ist-Zustand am Institut für Informatik und über dessen Ausbau finden sich in [9].


    8. Literatur
      1. Delphi'98 Umfrage. Studie zur globalen Entwicklung von Wissenschaft und Technik.
        Studie des
        Fraunhofer-Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Januar 1998
        (Der Bericht kann beim Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung unter http://www.isi.fhg.de/ bestellt werden.)


      2. Mitteilung von Herrn Prof. Dr. Franz Waldenberger, Japan-Zentrum der Ludwig-Maximilians-Universität, 1998


      3. "Besonders gefragt sind Bindestrich-Informatiker", Computer-Zeitung, 12.6.1997


      4. "Die sprachliche Anpassung der Produkte kostet die Softwareanbieter Milliarden", Computer-Zeitung, 26.2.1998


      5. "SAP zahlt 75 Millionen für die Lokalisierung", Computer-Zeitung, 26.2.1998


      6. "Droits d'auteurs et copyright, la guerre mondiale a commencé", Le Monde, 29.-30.3.1998


      7. Telematik im Gesundheitswesen - Perspektiven der Telemedizin in Deutschland -
        Studie der Roland Berger & Partner GmbH - International Management Consultants im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie und des Bundesministeriums für Gesundheit, Januar 1998
        (Der Bericht ist unter http://www.rolandberger.com abrufbar.)


      8. Siehe http://www.uni-koblenz.de/~lb/visualistik/vis/vis.htm


      9. Strukturplan zum Ausbau der Informatik an der Universität München, 15.5.1998
        (Fortschreibung der Pläne vom 29.6.1989, 30.7.1994 und 24.7.1995)


      10. "Konzepte nach dem Konsens - Konzept der Universität München", MUM (Münchner Uni Magazin), Nummer 4, Juni 1988


      11. "Die Informatisierung des Wissens", W. Frühwald. Alcatel SEL Stiftung, Stuttgart, 1996


      12. "Lernen für die Zukunft, Lernen in der Zukunft", S. Höfling und H. Mandl. Hanns-Seidel-Stiftung, München, 1997


      13. "Wet Mind. The new cognitive Neuroscience", S. Kosslyn and O. Koenig. New York Free Press, 1992